Urteil am Landgericht Landshut:Vier Jahre und drei Monate Haft für Messerstecher

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Am Ende entscheiden oft juristische Feinheiten darüber, wie ein Urteil ausfällt, ob etwa ein versuchter Totschlag vorliegt oder "nur" eine gefährliche Körperverletzung. Tödlich kann potenziell beides enden. (Foto: Volker Hartmann/dpa)

Die Schwurgerichtskammer bewertet die Attacke eines 28-Jährigen vor einem Freisinger Lokal letztlich als gefährliche Körperverletzung und nicht als versuchten Totschlag.

Von Alexander Kappen, Landshut/Freising

War es versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung, wie die Staatsanwältin bis zum Schluss argumentierte? Oder eben doch "nur" eine gefährliche Körperverletzung, wie die beiden Verteidiger meinten? Fakt ist, dass ein heute 28-jähriger, geständiger Mann vergangenen Oktober bei einer Auseinandersetzung vor einem Freisinger Nachtclub seinem Widersacher die Klinge eines Taschenmessers in den Oberkörper gerammt hat.

Dafür musste er sich jetzt vor der als Schwurgericht tagenden ersten Strafkammer des Landshuter Landgerichts verantworten. Und diese sah zwar einen bedingten Tötungsvorsatz als gegeben an, kam aufgrund der Beweislage aber zu der Entscheidung, dass es lediglich eine gefährliche Körperverletzung war. Am Dienstag verurteilte die Kammer unter Vorsitz von Richter Ralph Reiter den angeklagten Freisinger zu vier Jahren und drei Monaten Haft. Aufgrund der Alkoholprobleme des Angeklagten ordnete das Gericht dessen Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung an.

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Dazu, dass es überhaupt zu der Auseinandersetzung gekommen war, hatten sowohl der Täter als auch das Opfer offenbar ihren Teil beigetragen. Die beiden, die sich nicht kannten, waren alkoholisiert und fielen während des Abends unabhängig voneinander in dem Club durch ihr aggressives Verhalten auf. Und beide wurden von den Security-Mitarbeitern vor die Tür gesetzt, wo es dann zum Streit kam - ohne, dass es dafür eigentlich einen Anlass gegeben hätte. Der Geschädigte war schon auf dem Heimweg. Dann bekam er vor dem Club offenbar einen Wortwechsel zwischen dem Angeklagten und seinen Begleitern mit, bezog diesen auf sich selbst und ging auf die Gruppe zu.

Das ganze Geschehen wurde von einer Überwachungskamera des Lokals aufgezeichnet, die den Vorplatz filmte. Offensichtlich, so der Vorsitzende Richter, "war auch der Geschädigte alkoholbedingt enthemmt und aggressiv". Es sei zu einem kurzen Wortwechsel zwischen Täter und Opfer gekommen, "dann gab es ein Gerangel und Gewusel", an dem sich auch andere Personen beteiligten. Und dann habe der Angeklagte eine "hochgradig lebensgefährliche Handlung vorgenommen und eine Todesfolge zumindest gebilligt". Denn der 28-Jährige habe sich in einem Moment, in dem er gerade nicht unmittelbar mit seinem Widersacher zu tun hatte, entschieden, sein Taschenmesser aus der Hose zu holen und aufzuklappen. "Und dann hat er gezielt und mit Wucht zugestoßen."

Der Angeklagte neige dazu, viel Alkohol zu trinken und dann aggressiv zu werden, sagt der Vorsitzende, der auf die diversen Vorstrafen des 28-Jährigen verwies - darunter auch eine Bedrohung mit einem Messer. "Die Tat war also nicht fernab seiner Lebenswirklichkeit. Und wenn man ein Messer extra aufklappt, ist das auch was Anderes als wenn einer bei einer Auseinandersetzung in einer Bewegung ist und spontan mit dem Fuß zutritt", sagte der Richter. Bis dahin, das machte er deutlich, sei man im Bereich des versuchten Totschlags.

Nach dem Stich vollzieht der Angeklagte laut Gericht "freiwillig einen Gesinnungswandel"

Was den Angeklagten "gerettet" habe beziehungsweise "die Tat auf ein niedrigeres Level gestuft", sei der Umstand, dass der Stich aus dessen Sicht ohne besondere Auswirkung gewesen sei, erläuterte der Vorsitzende. Der Geschädigte sei unbeeindruckt stehen geblieben und sogar noch mal auf den Angeklagten zugegangen, so betonte die Verteidigung. Der 28-Jährige, der dem Kontrahenten "einen Denkzettel verpassen, ihn verletzten, aber nicht töten" wollte, sei sogar ein paar Schritte zurückgegangen, so die Verteidiger. Die Staatsanwältin dagegen verwies darauf, dass der Angeklagte nach dem Stich noch mal einen Ausfallschritt im 90-Grad-Winkel Richtung Opfer gemacht habe.

Für das Gericht jedoch war entscheidend, dass der Angeklagte nach dem ersten Stich einen weiteren hätte anbringen können. "Ein weiterer Stich wäre nicht unmöglich gewesen, davon müssen wir im Zweifel zumindest ausgehen", so der Richter. Und weil ein solcher nicht erfolgt sei, "gehen wir davon aus, dass er freiwillig von einer weiteren Tatbegehung Abstand genommen hat und es doch einen Gesinnungswandel gegeben hat". Juristisch wird das dann als Rücktritt vom Versuch des Totschlags gewertet.

Übrig blieb eine gefährliche Körperverletzung "am Rande des versuchten Totschlags", für die das Gesetz sechs Monate bis zehn Jahre Gefängnis vorsieht. Die Verteidigung beantragte für den bei der Tat unter offener Bewährung stehenden Angeklagten eineinhalb Jahre Haft - erneut auf Bewährung. Das, so der Richter, sei "abwegig und völlig unvorstellbar, wenn jemand wegen einer Nichtigkeit ein Messer rausholt und mit voller Wucht zusticht". Die Staatsanwältin beantragte sechseinhalb Jahre Haft. Letztlich akzeptierte sie ebenso wie die Verteidiger das Urteil. Dieses ist somit rechtskräftig.

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